Es tut aber nutz – der Gegenwart Carlo E. Lischetti

Posted by on Jan 21, 2014 in Presseberichte

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Der Bund, 21.1.2014
Von Brigitta Niederhauser –

Als « Gegenwart » massregelte Carlo E. Lischetti gern auch den Zeitgeist. Nun erinnern Bernhard Nick und Stephan Ribi mit einem kleinen, atmosphärisch dichten Film an den unvergesslichen Berner Künstler.

Ein Teppichklopfer gehörte genauso zu seinen Requisiten wie eine Dose Kaviar oder eine Bockleiter. Und eine blaue Berufsschürze trug Carlo E. Lischetti (1946–2005) meistens bei seinen Aktionen. Denn seine Kunst war eine ernsthafte Angelegenheit, man musste richtig dafür ausgerüstet sein, mochte sie noch so versponnen, leicht und zufällig daherkommen. «Ich muss eine Aktion machen», sagte der Berner Künstler denn auch immer wieder mit grosser Ernsthaftigkeit in die Kamera, bevor er loslegte.

Seine letzte Aktion war eine total verzweifelte. Im November 2005 erschoss er sich in seinem Atelier vor dem Computer. Um der «Nulosevose» («nutzlose Selbstvorwurfseuche») ein Ende zu machen, die ihn nach dem plötzlichen Krebstod seiner Frau Barbara (2003) hoffnungslos befallen hatte. Dieses gewaltsame Ende hat nicht nur Lischettis Werk verschattet, sondern auch das Andenken seiner beiden Kinder Nora und Dario an die Zeit zuvor. Wie ein Schleier hätten sich die Umstände seines Todes auf die Erinnerungen gelegt, sagt die ältere Nora.

Aufgebrochen, diesen Schleier zu ziehen, sind Nora und Dario zusammen mit den beiden Berner Filmemachern Bernhard Nick und Stephan Ribi sowie ein paar alten Weggefährten ihres Vaters. Entstanden ist dabei weniger ein Künstlerporträt, das Lischettis Werk jenen Podestplatz in der Kunstgeschichte beschert, den es längst verdient. «Der Gegenwart» ist vielmehr eine berührende und behutsame Annäherung an einen, der sich sowohl in seiner Kunst als auch in seinem privaten Leben in einem ganz eigenen Kosmos bewegte und dabei sich und der Welt immer wieder abhandengekommen ist.

Das bedrohte Familienglück

«Es ist ein hoher Luxus zu meinen, man könne als Anarchist Familienvater sein», kommentiert der Künstlerfreund Ralf Samens Lischettis alltägliche Überforderung. Nur kurze – von Lischetti selber gedrehte – Filmsequenzen aus dem Familienleben werden eingeblendet, Bilder eines Glücks, das so bedroht wie gross gewesen sein muss. Allgegenwärtig sei die Angst gewesen, erinnert sich Dario, der Vater könnte aus dem Haus weggewiesen werden.

Dabei war Lischetti, der immer wieder gern auch den Zeitgeist in den Senkel stellte, keineswegs der entrückte Künstler. Die Kunst des «Gegenwarts», wie er einmal seine Funktion definierte, fusste ganz in einem auf den ersten Blick unspektakulären Alltag. Doch Lischetti schaffte das Kunststück, den banalsten Dingen im Handumdrehen eine völlig neue, aufregende Identität zu verpassen und komplexeste Sachverhalte auf verblüffend simple Nenner zu bringen. «Der Inhalt einer Äusserung ist ausserhalb derselben», konstatierte er einmal oder «Strengen denkt an» und «Es tut aber nutz».

Es ist das Fragmentarische, Suchende, das den eigentümlichen verspielten Charme von Nicks und Ribis kleiner stündiger Produktion ausmacht, wird doch durch das bedächtig Tappende die ganze Fragilität von Lischettis liebenswürdiger Persönlichkeit noch stärker spürbar. Sogar die beiden Grossmäuler unter Lischettis Weggefährten, der Mundartrocker Polo Hofer, der einst mit ihm zusammen mit den Härdlütli für den Berner Stadtrat kandidierte, und der Schauspieler Max Rüdlinger, spucken für einmal keine grossen Töne – über einen, der sprachlos machte mit seinem einzigartigen Sprachwitz.

Die spanische Reitschule

Die stärksten Szenen gelingen Bernhard Nick und Stephan Ribi aber dort, wo sie die neuen Erfahrungen der beiden Kinder mit ihren alten Erinnerungen dokumentieren. Wenn zum Beispiel Nora zusammen mit einer Freundin eine Nummer ihres Vaters nachspielt und sich für die «spanische Reitschule» auf einer Paella-Pfanne durch die Altstadt ziehen lässt. Oder wenn Darios offensichtliches Gefühl der Befreiung aufscheint, als er mit ein paar Freunden aus Altpapierbündeln in riesigen Lettern das Wort «Angst» an den Aarehang schreibt. So ganz nach einer von Lischettis Losungen: «Am Anfang sind es immer nur wenige, die anfangen wollen.

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